Die Neurowissenschaften haben in den letzten Jahren erstaunliche Erkenntnisse über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns gewonnen. Was Psychologen seit Jahrzehnten predigen, ist nun schwarz auf weiß belegbar: Der Neocortex, der jüngste Teil unseres Gehirns, welcher komplexe kognitive Denkprozesse ermöglicht, steht als Tempel unseres Geistes auf hölzernen Beinen, nämlich auf den älteren Teilen des Gehirns, welche für die Steuerung von Emotionen zuständig sind.

Hirngerecht führen – mit den 5 neurobiologischen Grundbedürfnissen

Damit das Gehirn effizient arbeiten kann, müssen neurobiologische Grundbedürfnisse erfüllt sein. Mit der Analyse der folgenden 5 Grundbedürfnisse können Sie die eigene Leistungsfähigkeit und die Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern und so Stress wie auch Unsicherheit reduzieren.

  • Status (Selbstwert): Wie ist mein Ansehen in der Firma? Wird mir Wertschätzung entgegengebracht oder nicht? Fühle ich mich gesehen und anerkannt? Mangelt es an der Befriedigung, sich als nützlich und bedeutend für die Welt zu fühlen, kann dies zu Gefühlen der Schwäche und Hilflosigkeit führen.
  • Certainty (Gewissheit/Orientierung /Kontrolle): Menschen mögen keine Unsicherheit, denn sie führt zu empfundenem Kontrollverlust und Angst. Am Arbeitsplatz führt mangelnde Orientierung häufig zu ungesundem Stress.
  • Autonomy (Selbstwirksamkeit): Menschen wollen sich als selbstwirksam erleben und ihre Umwelt aktiv mitgestalten. Management-Vordenker Peter Senge sagte einst: „People do not resist change, they resist being changed.” („Menschen widersetzen sich nicht der Veränderungen – sie widersetzen sich, geändert zu werden.“) Besonders in Zeiten von Transformationsprozessen ist es wichtig, Mitarbeitende aktiv mit einzubinden.
  • Relatedness (Zugehörigkeit): Ausschluss aus einer Gemeinschaft ist seit Urzeiten eine der schärfsten Sanktionsmaßnahmen. Auch im Unternehmen wollen Menschen sich zugehörig und verbunden fühlen. Nur dann, wenn ich das Gefühl habe, voll dazuzugehören, bin ich bereit, vollen Einsatz zu zeigen und mich für die Gruppe und mein Unternehmen voll zu committen. Habe ich hingegen Angst davor, ausgeschlossen zu werden, stehe ich unter Stress und die kognitive Leistungsfähigkeit reduziert sich. Langfristig gesehen kann diese Art der Angst vor Ausschluss – zum Beispiel durch Mobbing – zu einem Burn-out führen.
  • Fairness (Angemessenheit): Das Areal im Gehirn, welches soziale Fairness empfindet, ist dasselbe, welches Schmerz und Ekel empfindet. Unfaire Attacken und intransparentes Verhalten aktivieren also das Schmerzareal im Gehirn. Das erklärt die heftige Reaktion mancher Menschen auf ungleiche oder als ungerecht empfundene Behandlung. Führungskräfte tun daher gut daran, transparent und berechenbar zu sein sowie ihre Entscheidungen nachvollziehbar zu begründen.

Die fünf neurobiologischen Grundbedürfnisse basieren auf dem SCARF-Modell von Rock/Schwarz und der Konsistenztheorie von Klaus Grawe.

Der Neurowissenschaftler Professor Gerald Hüther hat einen weiteren Aspekt angeführt, nämlich den des Wachstums/der Entwicklung: Die Kernkompetenz des menschlichen Gehirns liegt in der kreativen Gestaltung, nicht in der Abarbeitung von Routinen. Menschen wollen gemäß ihres Potenzials und ihrer Interessen gefordert werden und wachsen.

Abschließend möchten wir Ihnen eine Übung mitgeben, mit der Sie die Befriedigung der Grundbedürfnisse untersuchen können, um so wichtige Erkenntnisse für mehr Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit zu gewinnen.

 

Übung Neuroleadership

  1. Denken Sie an eine Situation, in der Sie sich unwohl gefühlt haben. Welche Grundbedürfnisse waren für Sie nicht erfüllt?
  2. Denken Sie an eine Situation, in der Sie sich wohl gefühlt haben. Welche Grundbedürfnisse waren für Sie erfüllt?
  3. Als Führungskraft für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gedacht:
    • Inwiefern kann Veränderung, zum Beispiel in einem Transformationsprozess,
      die Grundbedürfnisse der Mitarbeitenden gefährden?
    • Was können Sie als Leader tun, um diese zu schützen?

Die Kernaufgabe von Führung: Beziehungen managen

Unsicherheit und Komplexität in der Businesswelt nehmen zu – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen daher aus neurobiologischer Sicht nach Orientierung, Stabilität und Beteiligungsmöglichkeiten. Somit wird sich die Führung der Zukunft vor allem dadurch auszeichnen, Verbindungen zwischen den Menschen zu schaffen, die diese Bedürfnisse erfüllen.

Der aktuelle Artikel ist der zweite Teil einer Mini-Serie zum Thema »Leadership of the Future«. Die übrigen Beiträge:

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